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  • AutorenbildAnna Bacharjewa

Bei uns ist noch Februar

Am Vorabend gingen wir alle als die glücklichsten Menschen ins Bett, und dann kam der Morgen, an dem wir es erkannten.


Der erste Morgen


24.02. Ich wache auf. Im Zimmer ist es dunkel. “Ist es schon Morgen?” - denke ich. Ich sehe auf mein Handy. Es ist 5.50 Uhr. Dann höre ich eine Explosion. Der erste Gedanke war - der Krieg hat doch angefangen. Der zweite - vielleicht ist es nur Donner. Wie konnten sie so schnell so weit kommen? Ich wohne in der zentralen Ukraine. Durch das Glas in der Tür sehe ich, dass im Zimmer meiner Eltern das Licht an ist. Ich gehe zu meiner Mutter. Mein Vater ist nicht da, er arbeitet und kommt nur am Wochenende nach Hause. Mit seinem klaren Verstand wäre es viel einfacher, diesen Tag zu überleben.


Wieder hören wir Explosionen. Schock. Es kann nicht wahr sein. Ich gehe online. Die erste Nachricht ist, dass Putin die Entsendung von Truppen in die Ukraine angeordnet hat. Dann schalte ich den Fernseher ein und warte auf Anweisungen, was wir weiter tun sollen. Aber so etwas finde ich nicht. Wir wissen gar nicht, was zu machen ist. Wie geht es weiter? Bleibt mein Haus unbeschädigt? Werden wir irgendwohin flüchten? Fragen. Fragen. Fragen. Und keine Antworten.


Später erfahren wir, dass die Explosionen von einem 15 Kilometer entfernt explodierten Munitionsdepot verursacht wurden. Allen Anwohnern im Umkreis von 30 km wird die Evakuierung empfohlen.


Wir beeilen uns, die notwendigsten Dinge zu sammeln. Es ist schwierig. Der Kopf weigert sich zu denken. Die Hände zittern. Nein, der ganze Körper zittert. Minztee. Beruhigungsmittel. Das erste Beruhigungsmittel in meinem Leben. Aber es half kaum.


Das erste Opfer. Im Zentrum der Stadt Uman, die sich in unserer Nähe befindet, starb ein Mann durch den Einschlag einer Granate. Dort wohnen viele meiner Verwandten. Explosionen waren alle paar Minuten oder noch öfter zu hören. Das Haus bebte. Wir sitzen im Korridor. In einem nahe gelegenen Dorf wurden zwei Stockwerke der Schule völlig zerstört.


Gegen 11 Uhr evakuierten wir auf die Datsche meiner Großeltern. Hier ist es ruhig. Alles schien wie ein Albtraum. Es war der längste Morgen meines Lebens. Aber die längste Nacht wartete noch auf mich.


Die erste Nacht


Wenn Sie zumindest einmal einen Nachtzug genommen haben und Sie, wie ich, schlecht unterwegs schlafen, werden Sie zustimmen, dass eine solche Nacht sehr lange dauert. Aber diese Nacht war noch schlimmer.


Nachts wird alles schärfer wahrgenommen. Es ist viel komplizierter, die Aufregung niederzukämpfen. Ich bin oft wegen Stress aufgewacht. Gegen 2 Uhr nachts beschloss ich, die Nachrichten zu lesen, weil die Unkenntnis dessen, was geschieht, eine zu schwere Last war. Ich sah ein Foto eines halb zerbombten Hochhauses in Kyjiw. Ich erinnere mich noch an diesen Moment. Es wurde sofort klar, dass das Schussziel überall dort ist, wo Ukrainer sind. Von diesem Gedanken erfasste mich Schrecken. Das Ziel ist nicht zu erobern, das Ziel ist zu zerstören. Aber wofür?

Ich war noch nie so glücklich, als der Morgen kam.


Jetzt bin ich zu Hause. Seit diesem Tag sind fast 3 Monate vergangen, aber die Erinnerungen an ihn bleiben sehr lebendig. Wir sind an Krieg gewöhnt. Dieser Satz klingt beängstigend. Ich hätte nie gedacht, dass es möglich ist, ebenso habe ich nie geglaubt, dass der Krieg beginnen würde. Als wir im Geschichtsunterricht Kriege lernten, dachte ich oft, dass ich so glücklich bin, einen friedlichen Himmel über meinem Kopf zu haben. Ich war mir sicher, er würde für den Rest meines Lebens so bleiben. Ich habe vorher nie erkannt, wie stark ich mein Land liebe.

Ich erinnere mich an den Tag, an dem wir alle von Butscha erfuhren. Von Butscha, wo ich erst letzten Sommer zum ersten Mal war. Meine Familie und ich gingen dort in einem wunderschönen großen Park spazieren. Alle waren fröhlich und sorglos. Es ist äußerst schwer vorstellbar, dass die Menschen, die an diesem Tag auch im Park waren, möglicherweise nicht mehr am Leben sind.



Wie sieht unser Leben jetzt aus?


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